Position/Stellungnahme

Stellungnahme zu den Bundesrats-Anträgen des Landes Rheinland-Pfalz in Bundesrats-Drucksachen 657/19 und 658/19 mit Entschließungen zur Änderung VIG und des LFGB

- Wir nehmen Bezug auf die vom Land Rheinland-Pfalz vorgelegten Entschließungsanträge des Bundesrates zur Änderung des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) sowie des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB), Bundesrats-Drucksachen 657/19 und 658/19 vom 13.12.2019. Hierzu möchte der Lebensmittelverband Deutschland die nachfolgende Stellungnahme abgeben.

Verfassungskonforme Ausgestaltung und Anwendung von Transparenzregelungen

Für die Lebensmittelwirtschaft von grundlegender Bedeutung ist seit jeher die Ausgestaltung staatlicher Transparenzregelungen, konkret die Frage, wann, unter welchen Bedingungen und in welcher Art und Weise Unternehmensnamen oder konkreten Unternehmen zuzuordnende behördliche Kontrollergebnisse veröffentlicht werden können. Hierzu hat insbesondere in Deutschland in den letzten Jahren eine intensive (rechts-)politische Diskussion stattgefunden, in die sich der Lebensmittelverband Deutschland aktiv eingebracht hat. Diese betraf zum einen die Frage der behördlichen Nennung von Unternehmensnamen in der Öffentlichkeit gemäß § 40 LFGB, zum anderen die Frage nach der bewertenden Veröffentlichung von individuellen Kontrollergebnissen (Kontrollbarometer; Hygieneampel; Smiley-Kennzeichnung). Die neue EU-Kontrollverordnung 2017/625 räumt diesbezüglich neue Spielräume für den nationalen Gesetzgeber ein, die allerdings unter dem klaren Vorbehalt der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung stehen.

§ 40 Abs. 1a LFGB

Adressatengerechte, aussagekräftige und wahre Verbraucherinformationen sind unabdingbar, um dem Verbraucher Auswahl, Kauf und sachgerechte Verwendung von Lebensmitteln zu ermöglichen. Behördliche Nennungen von Unternehmensnamen in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit dem Vorwurf von Verstößen gegen das Lebensmittelrecht müssen aber zwingend rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere der Unschuldsvermutung genügen, so lange die entsprechenden Verfahren noch andauern. Angesichts der mit Namensveröffentlichungen im Internet verbundenen wirtschaftlichen Folgen für die betroffenen Unternehmen und der Unmöglichkeit, solche Informationen im Falle ihrer später festgestellten Fehlerhaftigkeit zurückzunehmen, steht die staatliche Seite hier in einer besonderen Verantwortung im Hinblick auf die Rechtsetzung und den Vollzug. Das Bundesverfassungsgericht hat den Vollzugsbehörden insoweit in seinem Beschluss vom 21. März 2018, 1 BvF 1/13, zurecht sehr enge Vorgaben für die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des § 40 Abs. 1a LFGB gemacht, die es im Vollzug zwingend zu beachten gilt.

Aus Sicht des Lebensmittelverbands Deutschland hat das Erste Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs vom 24. April 2019, BGBl 2019 I, S. 498 ff., nur punktuell an Symptomen des § 40 Abs. 1a LFGB herumkuriert, die Grundproblematik der Norm aber nicht beseitigt. Der Norm fehlt es auch weiterhin an einem soliden Fundament, welches vor allem die Schieflage zwischen § 40 Abs. 1 LFGB (Gefahrenabwehrnorm) und § 40 Abs. 1a LFGB (Transparenznorm) bereinigt. Eine Generalrevision des § 40 LFGB insgesamt wird seit langem von der Lebensmittelwirtschaft eingefordert und ist aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft nach wie vor zwingend vonnöten und keinesfalls durch das Erste LFGB-Änderungsgesetz obsolet geworden. Schon vor diesem Hintergrund ist es unumgänglich, Wortlaut und Systematik des § 40 LFGB nochmals grundlegend zu überarbeiten. Entsprechende Vorschläge hierzu seitens der Rechtswissenschaft liegen auch bereits vor (siehe Möstl/Becker/Holle/Hufen/Leible/Rathke/Schroeder/Streinz in ZLR 2017, S. 535 ff.). Bei der Neufassung gilt es allerdings, auch die schutzwürdigen Interessen von Lebensmittelunternehmern, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und die danach ergangenen Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte sowie die umfangreiche lebensmittelrechtliche Literatur zur Pranger-Wirkung von Namensveröffentlichungen zu berücksichtigen.

Kontrollbarometer/Hygieneampel

Auch die (be-)wertende Veröffentlichung von Überwachungsergebnissen im Internet (Kontrollbarometer/Hygieneampel) beinhaltet eine fortdauernde prangerähnliche Wirkung, insbesondere bei unveränderter Beibehaltung, wenn Mängel unverzüglich beseitigt worden sind. Schon wegen des damit verbundenen intensiven Eingriffs in die Rechte der betroffenen Unternehmen müssen auch an die Ausgestaltung eines Kontrollbarometers hohe rechtsstaatliche Anforderungen gestellt werden. Dazu zählt neben objektiven, einheitlichen und transparenten Kriterien für die Einstufung und Veröffentlichung vor allem die Gewährleistung einer zeitnahen weiteren Routinekontrolle nach Beseitigung festgestellter Mängel mit einer anschließenden Neubewertung. Die Chance zu einer zeitnahen öffentlichen Rehabilitierung ist zwingende Folge der durch die Veröffentlichung ausgelösten wirtschaftlichen Folgen des behördlichen Eingriffs in den Wettbewerb.

Bislang ist für den Lebensmittelverband Deutschland nicht ersichtlich, wie die amtlichen Überwachungsbehörden mit den derzeitigen personellen und finanziellen Ressourcen die gebotene zeitnahe Rehabilitierung und damit einen verfassungskonformen Vollzug der zum Teil politisch befürworteten Transparenzsysteme sicherstellen wollen.

Verbraucherinformationsgesetz (VIG)

Auch im Hinblick auf die Ausgestaltung des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) hat sich die Lebensmittelwirtschaft in den vergangenen Jahren intensiv in den Rechtssetzungs- und Diskussionsprozess eingebracht und sich dabei für einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Informationsinteresse der Verbraucher und den schutzwürdigen Interessen der Lebensmittelunternehmer eingesetzt. Im Hinblick auf die seit dem letzte Jahr initiierten Massenanfragen bei Behörden und die laufenden gerichtlichen Auseinandersetzungen zum Portal „Topf Secret“ von Foodwatch und FragDenStaat.de wäre es nach Auffassung des Lebensmittelverbands Deutschland Aufgabe des Bundesgesetzgebers mit Unterstützung der Bundesländer bei einer verfolgten Änderung des Verbraucherinformationsgesetzes klarzustellen, dass eine Veröffentlichung individuell nach dem VIG beantragter Behördenauskünfte in öffentlichen Foren nach dem Sinn und Zweck des Verbraucherinformationsgesetzes und der Gesetzeshistorie rechtsmissbräuchlich ist. Eine obergerichtliche Klärung dieser Frage dürfte noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Beteiligung der Lebensmittelwirtschaft

Der Lebensmittelverband Deutschland begrüßt die im Entschließungsantrag (BR-Drucksache 657/19, Ziffer 4) ausdrücklich geforderte Beteiligung der (Wirtschafts-)Verbände an der Schaffung eines schlüssigen Systems von Transparenzregelungen sowie die besondere Hervorhebung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Begründung. Ob und inwieweit es dazu eines vollständigen Harmonisierungskonzepts bedarf, muss der fachlichen Diskussion vorbehalten bleiben. In jedem Fall ist ein möglichst bundeseinheitlicher Vollzug der bestehenden Vorschriften im Interesse der Lebensmittelwirtschaft. Der Lebensmittelverband Deutschland hat überdies insbesondere im Hinblick auf die aus seiner Sicht unumgängliche Neufassung des § 40 LFGB mehrfach seine Bereitschaft zur Einbringung seiner Expertise in die erforderlichen fachlichen Diskussionen betont. Denn nur die Erarbeitung einer fachlich guten Rechtsgrundlage wird letztendlich die von allen Seiten geforderte Rechtssicherheit schaffen können, die auch zu einer Befriedung der Situation beitragen kann.

Rückverfolgbarkeit

Die europaweit harmonisierten Regelungen zur Rückverfolgbarkeit in Art. 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 wurden vor ihrer Verabschiedung sehr intensiv diskutiert. In diesem Zusammenhang wurde von Seiten der Lebensmittelwirtschaft mehrfach darauf hingewiesen, dass die (berechtigte) Zielvorgabe zur Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit einen äußerst breiten Adressatenkreis von multinationalen Unternehmen über mittelständische Betriebe bis zu kleinen und Kleinst-Unternehmen und Direktvermarktern betrifft. Aus diesem Grunde wurde den Lebensmittelunternehmern im Hinblick auf die Ausgestaltung der Systeme und der Umsetzungswege von Seiten des EU-Gesetzgebers ganz bewusst ein gewisses Maß an Flexibilität gelassen. Es ist darum stets zwischen den rechtlichen Anforderungen zur Rückverfolgbarkeit und freiwilligen, zusätzlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Rückverfolgbarkeit im jeweiligen Unternehmen zu unterscheiden. Diese von den europäischen Rechtsgrundlagen gewährte Flexibilität sollte deshalb nach Auffassung des Lebensmittelverbands Deutschland nicht pauschal für sämtliche Unternehmen eingeschränkt werden.

Auch wenn nachvollziehbar ist, dass gesetzlich vorgegebene einheitliche Standards oder einheitliche Datenformate zu einer beschleunigten Aufklärung in Ereignis- und Krisenfällen beitragen würden, ist eine solche generelle Vorgabe bundeseinheitlicher Standards oder Datenformate kritisch zu sehen und bedarf zumindest einer vorausgehenden intensiven Diskussion mit den betroffenen Lebensmittelunternehmen in ihrer ganzen Breite im Hinblick auf die Umsetzbarkeit in der Praxis und damit einhergehende Auswirkungen auf bestehende Marktstrukturen.

Im Hinblick auf die Reaktionszeit wurde im Wortlaut des Art. 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 aufgrund des heterogenen Adressatenkreises nach intensiver Diskussion im Rechtsetzungsverfahren ganz bewusst auf die Aufnahme einer exakt bezifferten Frist verzichtet und der unbestimmte Rechtsbegriff „unverzüglich“ aufgenommen. Damit sollte zum einen deutlich gemacht werden, dass die Rückverfolgbarkeitsdaten „so schnell wie möglich“ zu übermitteln sind, eine genaue zeitliche Vorgabe oder eine Maximalfrist aber den unterschiedlichen betroffenen Unternehmensgrößen und damit verbunden den unterschiedlichen Möglichkeiten nicht gerecht werden kann. Es bleibt Lebensmittelunter-nehmern selbstverständlich unbenommen, sich in privaten Qualitätssicherungssystemen auf freiwilliger Basis zur Einhaltung einer solchen Maximalfrist zu verpflichten. Auf die Vorgabe einer exakt bezifferten Reaktionszeit für den gesamten Adressatenkreis sollte jedoch verzichtet werden, auch wenn eine Ausnahmemöglichkeit für „kleine Betriebe“ vorgesehen werden soll.