Position/Stellungnahme

Lebensstil und Gesundheit – Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen

- Weltweit wird die Zunahme bestimmter chronischer Erkrankungen beobachtet. Als eine der Ursachen wird dabei Übergewicht angesehen. Da sich die gesundheitspolitische Diskussion in Deutschland aktuell vor allem auf das Übergewicht von Kindern und Jugendlichen konzentriert, nimmt der BLL nachfolgend zu diesem wichtigen Teilaspekt Stellung.

Die zunehmende Zahl übergewichtiger Kinder und Jugendlicher in Deutschland stellt eine Entwicklung mit weit reichenden Konsequenzen für die Betroffenen und die Gesellschaft dar. Der BLL begrüßt die auf internationaler und nationaler Ebene angestoßene breite Debatte über Ursachen, Prävention und effektive Lösungsansätze von Übergewicht im Kindes- und Jugendalter. Die Lösung des Problems erfordert ein ganzheitliches Verständnis und einen daraus abgeleiteten neuen Ansatz, der zum einen der Vielschichtigkeit der Ursachen und zum anderen der Notwendigkeit einer kohärenten Ausrichtung sämtlicher Maßnahmen Rechnung trägt.

Übergewicht ist letztlich das Ergebnis einer unausgewogenen Energiebilanz. Die Ursachen hierfür sind multifaktoriell. Fest steht, dass die modernen Lebensbedingungen zu einer Verringerung der körperlichen Aktivität, gerade auch im Alltag, geführt haben. Die Energieaufnahme hat sich dieser Entwicklung nicht angepasst. Bei gleich bleibender Energieaufnahme führt dies zwangsläufig zu einer Imbalanz zwischen Energieaufnahme und -verbrauch. Diese Imbalanz wird durch unterschiedliche Faktoren begünstigt bzw. gefördert. So nehmen insbesondere sozioökonomische und genetische Faktoren Einfluss auf die Entstehung von Übergewicht.

Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen ist es unbestritten, dass den sozioökonomischen Einflüssen eine erhebliche Bedeutung für die Entwicklung von Übergewicht zukommt. Es besteht eine Beziehung zwischen niedrigem Einkommen sowie niedrigem Bildungsgrad und der Entwicklung von Übergewicht. Dabei sind die hierfür ausschlaggebenden Faktoren im Einzelnen bislang wenig erforscht. Offensichtlich ist allerdings, dass sich soziale Faktoren auf das Ernährungs- und Bewegungsverhalten auswirken, wobei insbesondere eine Beziehung zwischen niedrigem sozioökonomischen Status und Bewegungsmangel besteht.

Der notwendige, allgemeine Lösungsansatz für die Prävention von Übergewicht im Kindes- und Jugendalter muss nach Auffassung des BLL alle Einflussfaktoren berücksichtigen: gesteigerte körperliche Aktivität, adäquates Ernährungsverhalten und Veränderungen im sozialen und familiären Umfeld - das heißt eine Veränderung der Lebensführung.
Zu appellieren ist hier an die Verantwortung von Eltern, Kindertagesstätten, Schulen, Lebensmittelwirtschaft, aber auch von kommunalen Körperschaften, z. B. im Hinblick auf den Bau und Erhalt von Schwimmbädern, Sport- und Spielstätten. In diesem Zusammenhang unterstützt der BLL den Appell der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, die dazu aufgerufen hat, das Umfeld von Kindern und Jugendlichen bewegungsaktiver zu gestalten.

Der BLL unterstützt und fördert die Plattform Ernährung und Bewegung (peb), die diese Richtung des gemeinschaftlichen Handelns auf allen Ebenen zur Bekämpfung des Übergewichts bei Kindern und Jugendlichen verfolgt. Die Plattform bietet durch ihren breiten interdisziplinären Ansatz und die Zusammenarbeit von gesellschaftlichen Kräften aus unterschiedlichen Bereichen die Chance, das Problem ursachengerecht gemeinsam anzugehen und Lebensstile wirksam und dauerhaft zu verändern. Die Plattform setzt sich in ihrer Arbeit sowohl für gezielte Hilfen wie für geeignete Rahmenbedingungen ein. Weitere Wirtschaftskreise, Institutionen und Unternehmen sind aufgerufen, bei der Plattform zur Verstärkung des Netzwerkes und seiner Wirkung mitzuwirken. Nur durch eine groß angelegte Gemeinschaftsaktion kann Übergewicht bei Kindern nachhaltig eingedämmt werden.

Dirigistische Maßnahmen sind zur Lösung des Übergewichtsproblems nicht geeignet. Das Bestreben der europäischen Politik, Lösungen überwiegend bei Produkten zu suchen, ist durch die Einführung von „Nährwertprofilen“ für Lebensmittel, die Klassifizierung von Produkten mit Hilfe von so genannten „Ampelsystemen“, Überlegungen zur Ausdehnung der Lebensmittelkennzeichnungspflichten bis hin zu zunehmenden Bemühungen, Einfluss auf die Zusammensetzung von Lebensmitteln „per Gesetz“ zu nehmen, gekennzeichnet. Eine dadurch bewertete Einteilung der Lebensmittelprodukte in „gesund“ und „ungesund“ ist wissenschaftlich nicht haltbar und auch aufgrund des jeweils individuellen Bedarfs nicht hilfreich. Derartige Ansätze sind als dirigistische Maßnahmen, die angesichts des tatsächlichen Ursachengeflechts von Übergewichtsproblemen nicht zielführend sein können, abzulehnen. Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil belegt die in ihrer Art bislang einzige Kieler Adipositas-Studie, dass sozioökonomische Parameter für die Entstehung von Übergewicht bedeutender sind als Unterschiede in der Ernährung normalgewichtiger und übergewichtiger Kinder und Jugendlicher. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass die Reduzierung der Ursächlichkeit auf bestimmte Lebensmittel und Nährstoffe der Vielschichtigkeit des Problems nicht gerecht wird.

Der Lebensmittelwirtschaft kommt eine zentrale Rolle im Hinblick auf die Versorgung der Bevölkerung mit einer großen Auswahl sicherer und qualitativ hochwertiger Lebensmittel zu. Die angebotene Vielfalt ermöglicht es dem Verbraucher, seine Wahl auf seinen Lebensstil und seinen individuellen Energiebedarf auszurichten. Das nahezu unbegrenzte Angebot an Lebensmitteln erfordert aber auch eine bewusste Entscheidung.

Die Entscheidung über ihre individuelle Ernährungsweise treffen die Verbraucher eigenverantwortlich. Sich für eine gesunde Ernährungsweise zu entscheiden, bedarf auch eines relevanten Wissens über Lebensmittel und ihre Zusammensetzung. Die repräsentative, groß angelegte Studie des Institute of European Food Studies belegt, dass die Deutschen die Grundsätze einer gesunden Ernährung gut kennen. Damit stimmen die Verzehrsstudien in Deutschland überein, die belegen, dass sich der Konsum von Getreideprodukten, Obst und Gemüse den Empfehlungen der Ernährungswissenschaft angenähert hat.

Im Hinblick auf das dennoch steigende Übergewicht in der Bevölkerung zeigt sich aber, dass bestimmten Verbrauchergruppen die Beziehung zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch noch nicht ausreichend bewusst ist.

Der BLL empfiehlt daher:

a) im Rahmen der Plattform Ernährung und Bewegung (peb) eine ganzheitliche lebensnah und verbrauchergerechte, auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse ausgestaltete Strategie zur Prävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen zu entwickeln und im Netzwerk in die Praxis umzusetzen

b) die finanziellen und personellen Ressourcen zur Förderung eines gesunden Lebensstils unter Einschluss aller Beteiligten zu bündeln und in der Plattform „peb“ zusammenzuführen

c) die Forschung zu den Ursachen der Entwicklung von Übergewicht zu fördern

d) folgende Aspekte in die Arbeit für einen gesunden Lebensstil
einzubeziehen:

  • Angebote der Familienbildung, um Eltern die Wahrnehmung ihrer Verantwortung für eine gesunde Ernährung ihrer Kinder zu erleichtern
  • Informations- und Bildungsangebote in Kindergärten und Schulen (z. B. Unterstützung zur Gesundheitsförderung in KiTas, Einrichtung eines Unterrichtsfachs „Ernährung und Gesundheit“)
  • <element>Verbesserung der Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche, sich zu bewegen (Sportunterricht, Spiel- und Sportplätze, spezielle Angebote der Sportvereine).

e) den Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft, in ihrer Unternehmenskommunikation weiterhin intensiv über das Thema Ernährung und Bewegung als Teil eines gesunden Lebensstils zu informieren und Maßnahmen zu ihrer Förderung zu unterstützen, auch und besonders im Rahmen der Plattform Ernährung und Bewegung.

Bonn, April 2007