Position/Stellungnahme

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des LFGB: BLL-Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Ernährung und Landwirtschaft am 18. Februar 2019

- Zur Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestages am 18. Februar 2019 in Berlin nimmt der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL) nachfolgend Stellung.

  • Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (BT-Drucksache 19/4726)
  • Antrag der Fraktion DIE LINKE: Informationsrechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern stärken – Behörden effektiv zur Auskunft verpflichten (BT-Drucksache 19/4830)
  • Antrag der Fraktion DIE Grünen: Transparenz über Lebensmittelkontrollen herstellen (BT-Drucksache 19/7435)

Mit Beschluss vom 21. März 2018 hat das Bundesverfassungsgericht zu Namensveröffentlichungen bei lebensmittelrechtlichen Verstößen Stellung genommen und über die Verfassungskonformität des betroffenen § 40 Abs. 1a LFGB befunden.

In besagtem Beschluss sieht das Bundesverfassungsgericht Namensveröffentlichungen nach § 40 Abs. 1a LFGB zwar grundsätzlich als verfassungsgemäß an, moniert aber das Fehlen einer zeitlichen Begrenzung als einen Verstoß gegen die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber ist daher nun aufgefordert, bis Ende April 2019 eine angemessene zeitliche Grenze für die Löschungsfrequenz, mithin verlässliche kodifizierte Löschungsfristen, zu schaffen.

Das Bundesverfassungsgericht definiert zudem klare Vorgaben an den Vollzug der Norm mitsamt der ausdrücklichen Aufforderung zur verfassungskonformen Anwendung des § 40 Abs. 1a LFGB. Die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der Norm ist danach stets nur unter der Prämisse einer verfassungskonformen Anwendung unter Beachtung der hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts gewährleistet! Darin liegt eine wichtige Vorgabe an die Vollzugsbehörden für die Vollzugspraxis, die es zu beachten gilt. Im Falle einer nicht ausreichenden Beachtung der durch den Beschluss statuierten Anforderungen an ei-nen verfassungskonformen Vollzug durch die Behörden dürfte es angesichts der massiven wirtschaftlichen Folgen einer Namensveröffentlichung für die betroffenen Unternehmen, die aufgrund der Reputationsverluste bekanntlich bis zur Existenzgefährdung oder sogar zur Existenzvernichtung gehen können, zu einer (erneuten) Klagewelle kommen.

Als Ergebnis ist festzuhalten, dass aus Sicht der Bundesländer und der rechtswissenschaftlichen Literatur wie der Lebensmittelwirtschaft auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zwingender Handlungsbedarf besteht, Wortlaut und Systematik des § 40 LFGB nochmals grundlegend zu überarbeiten und sich nicht auf das im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene bloße „Nacharbeiten“ durch die Einfügung einer Löschungsfrist als „kleine Lösung“ zu beschränken, auch wenn dies als erster Schritt zur Einhaltung der vom Gericht gesetzten Frist verständlich und richtig erscheint.

Während die Frage der Löschfrist aufgrund der vom BVerfG zeitlich knapp bemessenen Umsetzungsfrist im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches unmittelbar angegangen werden muss, sollten alle weiteren Punkte umfassend im konstruktiven fachlichen Dialog zwischen Bund, Ländern, Kontrolleuren, der Wirtschaft und den weiteren Stakeholdern zunächst auf der Fachebene im zuständigen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erörtert und dann erst in ein vom BMEL bereits angekündigtes Zweites Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches einfließen.

Es erscheint zur Schaffung der allseits geforderten Verbesserung der Rechtssicherheit wie auch zur Vermeidung weiterer zeitintensiver gerichtlicher Auseinandersetzungen sinnvoll und zwingend erforderlich, den vorliegenden Gesetzentwurf nicht nur punktuell, ohne vorausgehende Detaildiskussion unter Beteiligung der verschiedenen Stakeholder im Deutschen Bundestag nachzubessern, sondern angesichts der verfassungsrechtlichen Bedeutung der zugrundeliegenden Thematik zunächst eine umfassende Fachdiskussion auf der Grundlage eines weiteren Referentenentwurfes zur Änderung des LFGB im BMEL zu ermöglichen.

Im Hinblick auf die Frage der zeitlichen Begrenzung der Informationsverbreitung hat das BVerfG zu Recht darauf hingewiesen, dass die mit der Regelung des § 40 Abs. 1a LFGB ein-hergehenden intensiven Grundrechtsbeeinträchtigungen mit der Dauer der Veröffentlichung in Schieflage zu den mit der Veröffentlichung erreichbaren Zwecken geraten. „Je länger die Verbreitung andauert, desto größer wird die Diskrepanz zwischen der über die Zeit steigenden Gesamtbelastung des Unternehmens einerseits und dem abnehmenden Wert der Information für die Verbraucher andererseits. Je weiter der Verstoß zeitlich entfernt ist, desto geringer ist noch der objektive Informationswert seiner Verbreitung. Je länger eine für das Unternehmen negative Information in der Öffentlichkeit verbreitet wird, desto größer ist auf der anderen Seite dessen Belastung“. Das BVerfG hat daher mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Festlegung der Löschungsfrist einen Abwägungsprozess eingefordert, bei dem die vorgenannten Parameter angemessen zu berücksichtigen sind.

Nach Auffassung des BLL hat das BMEL mit der im vorgelegten Gesetzentwurf enthaltenen Löschungsfrist „von sechs Monaten nach der Veröffentlichung“ die mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu rechtfertigende Obergrenze gewählt, die keinesfalls ausgeweitet werden darf. Demgegenüber wäre sogar eher an eine weitere Differenzierung/Staffelung/Verkürzung der Löschungsfrist, z.B. bei (geringfügigen) Höchstmengenverstößen zu denken. Die von der Fraktion DIE LINKE geforderte Löschungsfrist von 2 Jah-ren erscheint vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes keinesfalls verfassungskonform.

Aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft ist überdies darauf hinzuweisen, dass das BVerfG in seinen Ausführungen zur zeitlichen Begrenzung der Informationsverbreitung die Besonderheiten des Internets und die damit fortdauernden Wirkungen von Namensveröffentlichungen für die Unternehmen verkennt. So hat die Lebensmittelwirtschaft mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass die Namensveröffentlichungen im Internet de facto irreversibel und aufgrund der permanenten und allzugänglichen Verfügbarkeit sowie unvorhersehbaren Verbreitungsmöglichkeiten nicht löschbar sind. Einer Löschung der Information von Seiten der Behörden auf deren Informationsportalen kommt daher für die betroffenen Unternehmen nur eine begrenzte, die Folgen mindernde Wirkung zu.

Schon vor diesem Hintergrund macht es aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft Sinn, Wortlaut und Systematik des § 40 LFGB in einem Zweiten Gesetz zur Änderung des LFGB nochmals grundlegend zu überarbeiten.

Der BLL hat sich sowohl im Rahmen des Normenkontrollverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht zu § 40 Abs. 1a LFGB mit einer ausführlichen Stellungnahme geäußert als auch zum finalen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 21. März 2018 umfassend Stellung genommen.

Weitere Punkte aus den Anträgen der Fraktionen Die LINKE und Die GRÜNEN

Kontrollbarometer/Hygieneampel
Das geltende Recht bietet den Überwachungsbehörden aus Sicht des BLL die notwendigen Instrumente, um auf (Hygiene-) Verstöße im Bereich des Lebensmittelrechts in einzelfallgerechter und angemessener Form zu reagieren. Dies reicht von der Möglichkeit effektiver persönlicher Sanktionen durch Geldbußen oder Strafen bis hin zu einer Betriebsschließung. Die Erforderlichkeit weiterer Maßnahmen ist daher bereits grundsätzlich fraglich. Während eine Verbraucherinformation anstelle ordnungsrechtlicher Maßnahmen grundsätzlich un-zulässig und nicht zielführend ist, weil die Behörde zur wirksamen Gefahrenabwehr, d. h. zur Abstellung der festgestellten Mängel, verpflichtet ist, ist eine Verbraucherinformation als zusätzliche Sanktion neben der ordnungsrechtlichen Maßnahme im Hinblick auf eine Gefahrenabwehr in der Regel nicht erforderlich, zumal die Belastungswirkung durch die Veröffentlichung auch nach Mängelbeseitigung und abgeschlossener Sanktionierung – ggf. sogar „lebenslang“ – fortwirkt.

Die Lebensmittelwirtschaft hält die seit einigen Jahren zu beobachtende Tendenz der Verschiebung des behördlichen Instrumentariums weg von den ordnungspolitischen Maßnahmen (konsequenter Vollzug des geltenden Rechts) hin zu Maßnahmen einer Verhaltensänderung durch Veröffentlichung (im Internet) daher für nicht zielführend und rechtlich bedenklich. Es wäre demgegenüber deutlich zielführender, die amtliche Lebensmittelüberwachung in personeller und finanzieller Hinsicht zu stärken, um den Regelvollzug mit dem bestehenden Instrumentarium an Maßnahmen und Sanktionen wirksamer zu machen anstatt der amtlichen Überwachung neue, zusätzliche Aufgaben zu übertragen.

In diesem Zusammenhang erscheint es dem BLL derzeit mehr als zweifelhaft, ob die amtliche Lebensmittelüberwachung in personeller wie in finanzieller Hinsicht tatsächlich über-haupt in der Lage ist, die Aktualität eines (verpflichtenden) Kontrollbarometers und damit einen rechtskonformen Vollzug zu gewährleisten. Der oftmals herangezogene Vergleich mit der Smiley-Kennzeichnung in Dänemark ist insoweit nicht tragfähig, als die dänischen Rahmenbedingungen nicht auf Deutschland übertragbar sind. Dänemark hat deutlich weniger Betriebe als Deutschland, aber im Verhältnis mehr Kontrolleure, was sich entscheidend auf die Möglichkeit zum verfassungskonformen Vollzug auswirkt.

Eine Information über die Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung ist nämlich nur ge-rechtfertigt, solange sie aktuell ist. Dies erkennt das BVerfG ausdrücklich an, in dem es aus-führt, dass „[d]ie inhaltliche Richtigkeit einer Information […] grundsätzlich Voraussetzung dafür [ist], dass sie die Transparenz am Markt und damit dessen Funktionsfähigkeit fördert“. Auch ein (verpflichtendes) Kontrollbarometer hat somit die Anforderungen an die Aktualität der vergleichenden Bewertungsentscheidung zu erfüllen. Da die amtliche Kon-trolle nur eine Momentaufnahme abbilden kann, ist die Information darüber zu aktualisieren, sobald eine Änderung der tatsächlichen Situation sichtbar eingetreten ist (z. B. Feststellung der Behebung des Mangels im Rahmen der Nachkontrolle).

Vor diesem Hintergrund kann es nicht sein, dass der Lebensmittelunternehmer verpflichtet wird, die Ergebnisse der letzten amtlichen Kontrolle so lange zu veröffentlichen bis eine erneute planmäßige (Routine-) Kontrolle vorgenommen wird. Dies würde bedeuten, dass selbst eine fehlerhafte Information – z. B. angesichts bereits behobener Mängel – je nach Kontrollhäufigkeit des betroffenen Unternehmens grundsätzlich bis zu mehreren Jahren weiterhin zu veröffentlichen ist. Der Unternehmer wäre zur Veröffentlichung einer unrichtigen Information verpflichtet, die eine erhebliche grundrechtsintensive Wirkung entfaltet, obwohl der Mangel bereits behoben wurde. Damit würde nicht nur ungerechtfertigt in die Grundrechte des Unternehmers eingegriffen, dies führte auch dazu, dass die Verbraucherinformation unrichtig ist und damit das Ziel des Gesetzes verfehlt würde.

Vor dem Hintergrund, dass die Information schon aus rechtsstaatlichen Gründen aktuell zu sein hat, muss die Frist für eine zusätzliche amtliche (Routine-) Kontrolle nach Beseitigung der Mängel angemessen zeitnah sein. Nach Auskunft des Landesverbandes der Lebensmittelkontrolleure in Nordrhein-Westfalen war schon der im damaligen Kontrollergebnis-Transparent-Gesetz Nordrhein-Westfalen (KTG NRW) vorgesehene Zeitraum von maximal 6 Wochen ab Antragstellung für die Wiederholungskontrolle in der Vollzugspraxis nicht umsetzbar. Aus diesem Grunde erscheint die Forderung im Antrag der Fraktion DIE LINKE, „bei Beanstandungen durch die amtlichen Lebensmittelkontrolleure eine Wiederholungskontrolle innerhalb von 14 Tagen zu gewährleisten“, zwar inhaltlich berechtigt, aber im Hinblick auf die Umsetzbarkeit in der Vollzugspraxis in Deutschland nicht realisierbar. Es ist aber weder rechtlich noch politisch akzeptabel, dass sich personelle oder sachliche Engpässe in der amtlichen Lebensmittelüberwachung oder Gründe der Verwaltungserleichterung einseitig zu Lasten der Betriebe auswirken.

Solange der verfassungskonforme Vollzug eines (verpflichtenden) Kontrollbarometers bzw. einer (verpflichtenden) Hygieneampel mangels angemessener personeller wie finanzieller Ausstattung der amtlichen Lebensmittelüberwachung in Deutschland nicht möglich ist, gehen entsprechende politische Forderungen ins Leere. Angesichts der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigungen der betroffenen Unternehmen muss die praktische Umsetzbarkeit eines verfassungskonformen Vollzugs dieses Instrumentes durch die amtliche Lebensmittelüberwachung als zwingende Mindestvoraussetzung für weitere politische Rechtsetzungsmaßnahmen angesehen werden.

Verbraucherinformationsgesetz (VIG)
Auch im Rahmen des Rechtssetzungsverfahrens zum Gesetz zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation (Verbraucherinformationsgesetz) im Jahr 2011 hat der BLL eine ausführliche Stellungnahme zur Position der Lebensmittelwirtschaft abgegeben, die nach wie vor Bestand hat.

Angesichts der augenblicklichen Erfahrungen mit dem Portal „Topf Secret“, auf dem die individuelle Korrespondenz von einzelnen Verbraucherinnen und Verbrauchern mit Behörden in Widerspruch zum Sinn und Zweck des Verbraucherinformationsgesetzes öffentlich ins Internet gestellt werden, erscheint der Lebensmittelwirtschaft eine klarstellende Änderung des Verbraucherinformationsgesetzes zwingend erforderlich.

So sollten individuell beantragte Behördenauskünfte nach VIG und behördliche Veröffentlichungen im Internet strikt unterschieden werden. Den Behörden ist eine Veröffentlichung von unternehmens- oder produktbezogenen Informationen rechtlich nur unter Beachtung der engen verfassungsrechtlichen Anforderungen (siehe den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2018) erlaubt. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen dürfen aber nicht durch eine dem Sinn und Zweck des VIG zuwiderlaufende Instrumentalisierung des Verbraucherinformationsgesetzes unterlaufen werden.

Der Gesetzgeber sollte daher dringend im Wortlaut des Verbraucherinformationsgesetzes klarstellen, dass eine Veröffentlichung individuell nach dem VIG beantragter Behörden-auskünfte in öffentlichen Foren oder auf öffentlichen Portalen rechtsmissbräuchlich im Sinne des Verbraucherinformationsgesetzes ist.